Werner Brück
Schuhkartondeckel
Die See
Presse
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Zur Person des Kurt Emser siehe den untenstehenden
künstlerischen Werdegang. Hat privat Bindungen zu dem Konstrukt, das man
"Nauwieser Viertel" nennt, ist also - auch wenn er in Jägersburg zur
Welt kam - ein Saarbrücker Kind und da zuhause.
Brück, Werner: Kurt Emser im Atelier.
Saarbrücken, Nov. 2006.
Malerei war ihm schon immer wichtig. Wenn man sich
Kurt Emsers Statur und seine strenge, von starken Linien geprägte
Erscheinungsweise ansieht: Wert auf Darstellung gelegt, Schwarze
Kleidung, schwarze Brille, weißgraues, kurzes Haar, stete Rasur:
Ökonomie der Ausdrucksmittel. Sein Atelier: eine ganze, dem
künstlerischen Schaffen und Zeigen unterworfene Wohnung als
Heinrich-Böcking-Straßen-Reich. Vor allem abends gewärtigt man
interessante Einblicke - schon von der Straße aus. Da wagt es einer,
sich zu zeigen. Unaufgeregt betreibt er Öffentlichkeitsarbeit über den
Vorgarten hinaus.
Bei einem Besuch im Oktober 2006 fielen mir
verschiedene Werkansätze auf. Das eine waren großformatige Bilder aus
diversen Aktionen und PR-Kampagnen, aber auch von äußeren Zwecken
befreite größerformatige Arbeiten. - Von denen will ich hier jedoch
nicht schreiben. Vielmehr interessierten mich zu der Zeit die bemalten
Schuhkartondeckel, die auf Kontextualisierung von Kunst, Aspektewechsel,
die Gestaltung vorgefundener Motive und die Thematisierung
synästhetischer Vorlagen abzielen. Beide Werkgruppen wachsen parallel
zueinander, indes: das Thema der Schuhkartondeckel ist konzeptuell enger
gefaßt, konzentrierter. In den großformatigen Werken kann und darf
experimenteller gearbeitet werden, z.B. wenn sich - der Vorgehensweise
Yves Kleins ähnlich - in einer Saarbrücker sozialkünstlerischen
Ausarbeitung Obdachlose mit Farbe am Gesäß auf die Bildfläche setzen
dürfen und sollen. Das konzentriertere Format aber ist der
Schuhkartondeckel, und der fordert seitens seiner Ausmaße eine
hingebungsvolle Versenkung in die schaffende Bearbeitung und das
nachvollziehende Anschauen. Epagoge.
Bevor wir uns jedoch in die Anschauung versenken
wollen, sei hier noch der Link auf Kurt Emsers Website genannt, auf der
man sich noch etwas eingehender über sein Werk und sein Schaffen
infomieren kann. Der URL lautet:
http://www.kurt-emser.de.
Der Schuhkarton als solcher besitzt die Größe
russischer Ikonen, ca. 15-20 cm x 25-35 cm. Diese können innerhalb
liturgisch-ritueller Handlungen zu bestimmten Anlässen transportiert und
gehandhabt werden. Diese Handhabungen sind ritualisiert, folgen externen
und internen Gesetzmäßigkeiten, die ihren Ursprung in einem vielhundert-,
vielleicht sogar übertausendjährigen Weltanschauungs- und
Weltordnungsprozeß finden. Entsprechend ist der Betrachter versucht, die
Schuhkartondeckelobjekte im Rahmen von Weltordnungsprozessen zu
verstehen. Dem entsprechen die Abmessungen, aber auch der Umstand, daß
Emser v.a. die Deckel der Schuhkartons einsetzt. Die Deckelränder
verstärkt er von innen - also nicht sichtbar - mit leichten Holzleisten,
die die Objekte stabilisieren und damit auch längerfristig
gebrauchstauglich machen.
Die Zahl der Objekte wird enorm. Man möchte die
Objekte auf der Wand, auf dem Boden, um sich herum sortieren,
rhetorische Tropen und Figuren formen, Aneinanderreihungen, Einschübe,
Parallelen, Gegenüberstellungen, Steigerungen, man möchte beschönigen,
übertreiben, gleichklingen, vergleichen, verstärken. Kurz: alle
konzeptuell angelegten Möglichkeiten durchdeklinieren. Die
unterschiedlichen Größen der Objekte, die unterschiedlichen
Farbnuancierungen, die verschiedenen Grade der plastischen Raumgreifung
und das Spiel mit graphischen und malerischen Möglichkeiten verstärken
diesen Wunsch. Auch kommen Subgruppen vor, die in sich kohärieren - z.B.
"Europa läuft".
Schuhkartondeckel als Objekte der
Handhabungsprozesse menschlichen Daseins, so die Generalisierung. Jeder
Karton hat seine eigene Sinnerfüllung, sein Telos, im Abschluß durch den
je auf ihn assenden Deckel. Daraufpassen um seiner selbst willen. Die
Schuhe selbst spielen in Kurt Emsers Werk nur eine implizite Rolle; sie
sind als solche nicht zu sehen, nur als etwas von der Realität des
Deckels unabhängig existierendes anzunehmen, losgelöst vom Dasein des
Deckels, diesen transzendierend in eine andere, nicht-künstlerische
Wirklichkeit, einen anderen Handhabungsprozeß.
Sich weltordnend mit Schuhkartondeckeln zu
beschäftigen, hieße auch, zu klassifizieren, z.B. nach Marken, nach
Größen, nach Farben. Jedoch beschäftigt sich Kurt Emser mit dem
einzelnen Deckel. So arg viele Deckel stehen ihm nun ja nicht zur
Verfügung, und die vom Format geforderte hingebungsvolle Versenkung
wirkt sich auf die Wahrnehmung der einzelnen Wirkzusammenhänge innerhalb
der Malflächen aus.
Kommen wir zum Mythos, der Zusammensetzung der
Geschehnisse: der Mensch, der mit Kurt Emsers Schuhkartondeckeln zu tun
hat, weiß, wie mit Schuhkartondeckeln umzugehen ist, was da noch fehlt
und wie er diese Zusammenhänge in den Alltag einzuordnen hat. Der Mensch
des 20. Jahrhunderts weiß, welche Rolle Marken im gesellschaftlichen
Klassifizierungsprozeß spielen und was Gestaltungshöhe, Image,
Stofflichkeit, Typografie, Lautgestalt, Formdynamik über denjenigen
aussagen, der Schuhe einer bestimmten Marke trägt, bzw. der einen
bestimmten Karton durch die Gegend trägt.
Diese bewußt-unbewußte Zusammensetzung der eigenen
Handlungen in Geschehnissen ist commun, wenn nicht sogar banal -
aber in dieser ihrer allfälligen Gemeinheit kennzeichnend für die
Entledigung des eigentlichen Sinnens menschlicher Existenz zugunsten des
Konsums und der damit verbundenen gesellschaftlichen Repräsentation.
Zeige mir Deinen Müll, und ich sage Dir, wer Du bist. Und um sich bewußt
zu werden, wie commun man lebt, muß man sich zuerst einmal
verführen lassen, so zu leben.
Da steht also jetzt ein Mann von hoher Statur, die
ganze Strenge seines Auftretens, den biografischen Hintergrund eines
kaufmännischen Berufes, in reiferem Alter - und sammelt kostenlosen
Verpackungsmüll, genaugenommen: Wohlstandsabfälle, Umverpackungen
hochbeworbener Markenartikel, die zu nichts mehr zu gebrauchen sind, da
die dazugehörigen Kartons fehlen. Und beschäftigt sich auch noch damit,
anstatt die klinisch-weiße Leinwand im Künstlerbedarfshandel zu kaufen
und, wie es sich gehört, klinisch-weiße Bildchen für 450,00 € zu malen,
mit lichtechter Lukas-Malfarbe (5 Sterne).
"Hand"-Habung als Begriff bezeichnet den Umstand,
daß jemand etwas in der Hand hält und hat. Etwas mehr in prozessualer
Hinsicht bezieht es sich darauf, daß jemand etwas tut oder herstellt und
dafür etwas als Instrument benutzt, das man eigens zu dieser Benutzung
auserkoren hat. Ein Objekt wird benutzt, um etwas zu tun. So werden die
Schuhkartons industriell mit eigens zu diesem Zweck erfundenen
mechanischen Prothesen hergestellt. Aber auch die Schuhkartondeckel
finden ihren Zweck in der Instrumentalisierung zu etwas anderem: sie
sind Umverpackung, es wird etwas hergestellt, das etwas anderes
Hergestelltes vor Umwelteinflüssen schützen und mit Hilfe eines
Markenaufdruckes Werbe- und Klassifizierungsbotschaften transportieren
soll. Der Schuhkartondeckel ist Schutz und Medium zugleich.
Eigentlich ist das Sich-Kleiden im aristotelischen
Sinne eine praktische Handlung. Man tut etwas aus sittlicher Klugheit,
sei es, um keinen oder um Anstoß zu erregen, sei es, um sich vor der
Kälte zu schützen, dadurch eine bessere Lebensführung zu erreichen. Das
Ziel dieser Handlung ist die Erweiterung des handlungsmäßigen
Perspektivenhorizontes in der Zukunft, angesichts der Faktizität der
Wirklichkeit, die von der Vergangenheit herrührt. Es ist interessant,
wie simpel eine solche Sicht ist und was noch dazukommen kann. Nimmt man
den Schuhkartondeckel als Medium für den Transport der Markenbotschaft,
so kann man in letzter Konsequenz behaupten, der Mensch kleide sich, um
ein bestimmtes Markenimage zu erfüllen, sich eine weltanschaulich
präkonfigurierte Lebenswirklichkeit zu verschaffen und damit eine
Teilhabe an der überindividuellen Zusammensetzung der Geschehnisse, am
Mythos des 20. und 21. Jahrhunderts.
Dem entspricht die industrielle Arbeitsteilung. Die
poietische Handlung, nämlich das Verfertigen eines Akkusativobjektes,
eines Schuhs nebst Kartons, wird Anonymen überlassen, denen man im Falle
des "Kommunikationsdesigns" auch gleich die Bestimmungsgewalt über den
"Zeitgeist", damit aber die Präkonfiguration des überindividuellen
Mythos überläßt. Und diese Anonymen arbeiten noch nicht einmal integral
und damit ganzheitlich an den Dingen, sondern der eine macht den
Schnürsenkel, der andere gerbt das Leder, der andere Betrieb fertigt die
Verpackung, deren Rohmaterial aus dem anderen Land stammt. Fehlt noch
die Marktbeobachtung: die machen diejenigen, die am jeweiligen Markt
sitzen und verkaufen sollen.
Versucht wird aber auch, der bloßen Verfertigung
von Akkusativobjekten, in diesem Falle von Schuhen und ihren Kartons,
mit Hilfe der Markenidentität einen praktischen, lebensweltlichen Sinn
und damit (Schein-)Perspektiven auf ein zukünftige sittliches Handeln zu
verschaffen. Im Idealfall dokumentiert der Benetton-Konsument
HIV-Bewußtsein oder Kenntnis der exjugoslawischen Kriege. Espritkäufer
zeigen Liebe zu Farben und Kulturen, durch bunte und formal
abwechslungsreiche, im Namen warm-freundlich und geistreich klingende
Assoziationen und Konnotationen, Multikulturalismus. Diese
Bedeutungswelt wird von Kurt Emser bearbeitet.
Bevor wir zur Kunst Kurt Emsers voranschreiten,
sollte der Schuhkartondeckel noch in seiner Funktion betrachtet werden.
Der Schuhkarton und sein Deckel werden durch Faltungsvorgänge
hergestellt. Es gibt als Resultat - etwas abstrakt ausgedrückt - drei
Richtungsangaben: Höhe, Breite, Tiefe. Das Material des Kartons bildet
hierbei eine feste, greifbare Grenze eines "nichtgreifbaren" Volumens
gegenüber seinem Umraum.
Das Adjektiv "nichtgreifbar" wird in diesem
Zusammenhang in Anführungszeichen gesetzt, weil das im Schuhkarton sich
befindliche, das den Schuh polsternde Seidenpapier in seiner Plusterung
und Leichtigkeit eine durchaus greifbare Füllung darstellt, in der der
Schuh sich wiederum materialisiert, als Komprimat des vorhandenen
Umraumes samt seiner Verpackung. Jedoch ist jene Sicht eine vom Handeln
bestimmte, die andere eine seiner Gegenstandsbezüge beraubte, ein Ideal
sozusagen, das in der Kunst nicht vorkommt: genaugenommen erlangt das im
Kasten beschriebene Volumen sein Dasein - nicht seine Existenz, denn
ontologisch kann ja nicht Nichts sein - erst durch den es umgebenden
Karton, wie auch eine Kubikzentimeterzahl erst erreicht werden kann,
wenn es genügende Angaben zu Höhe, Breite und Tiefe gibt. Es herrscht
ein innerer, sich gegenseitig bedingender Zusammenhang zwischen Volumen
und Volumengrenze, der quantitativ bestimmbar erst durch abstrakte
Größen wird.
Im Falle des Schuhkartons und seines Deckels gibt
es sogar zwei Volumina, von denen das des letzteren dem des ersteren
klar subordiniert ist, weil es lediglich übergestülpt wird, weil es
kleiner ist und weil es an Ausdehnung verliert, indem es in den Karton
übergeht und dem Kartonvolumen seinen Anteil ersatzlos darreicht. Der
Schuhkartondeckel ist also hinsichtlich seines eigenen Volumens unnötig.
Er schließt das Volumen des Schuhkartons ab. Er erlangt darüber hinaus
aber - ungleich stärker als der restliche Karton - als Träger des
Markennamens an Bedeutung. Die Schuhkartonoberfläche stellt die größte
freie Gestaltungsfläche am Schuhkarton dar, eignet sich also am ehesten
zur rhetorischen Ansprache an den Betrachter und damit den potentiellen
Käufer.
Brück, Werner: Blick in das Atelier von Kurt Emser.
Saarbrücken, Nov. 2006.
Weil der Schuhkartondeckel auf seine Schließ- und
Repräsentationsfunktion reduziert wird, wobei es auch hier
unterschiedliche Grade der Explizität gibt - so braucht z.B. die
Schließfunktion nicht weiter behandelt zu werden -. weil dem also so
ist, hütet sich der Hersteller davor, auf der Oberfläche des
Schuhkartondeckels Informationen technischer Art anzubringen. Diese
werden fast immer auf die Seite - und hier die Schmalseite - des Kartons
geklebt bzw. gedruckt. Man will sich die großen Grenzflächen des
umschlossenen Volumens vorbehalten für die singuläre Präsentation des
Markennamens, um den Betrachter der Ware und seiner Verpackung vom
per se-Wert der Ware zu überzeugen. Der eigentliche Inhalt spielt in
dieser persuasio keine große Rolle, lediglich die Laut- bzw.
Klang- sowie die optische Gestalt des Markennamens. Das sollte auf jeden
Fall festgehalten werden, denn: hier setzt Kurt Emser in seiner
künstlerischen Gestaltung an und auf die Marke und ihr Format beschränkt
sich Kurt Emser singulär.
Hebt man nun den Schuhkartondeckel vom zu
schließenden Volumen ab, entledigt man sich des
funktional-teleologischen Gerundivums, und damit seiner technischen
Funktion. Man überführt ihn in ein nunmehr ausschließlich rhetorisches
Dasein, dies als eine Basis für Kunst. Der Schuhkartondeckel und sein
Aufdruck verwandelt sich in eine Trope - Symbol, Synästhesie, Emphase,
Chiffre -, zur Überredung der Betrachterin, die lesen kann, gewiß über
markenspezifische Vorbildung verfügt, oder durch die Erscheinungsweise
der Verpackung markenästehisch ausgebildet wird, die Neugierde am Objekt
entwickeln muß. Es ist nun endgültig an der Zeit, sich ein Werk Kurt
Emsers anzuschauen.
Im Objekt - wir wollen ruhig "Bild" sagen - mit dem
Namen "Esprit 1" gibt es verschiedene Arten Rot zu sehen. Chromorange,
kadmiumgeld, helles Zinnoberrot, Karminrot, hellen Krapplack, dunklen
Krapplack. Gelb kommt in Nuancen von Neapelgelb in Inkarnatfarbe vor,
leichte, nie aufdringliche Brechungen erfolgen mit Weiß in der
Farbmasse. Dunklere Brechungen resultieren aus einer chromatischere
Farbauffassung, die im Untergrund dunkelgraue bis grauschwarze Flächen
durch einen pastosen, aber strichigen Rotauftrag überlagert, so daß
alles leicht flimmert. Auch lasierende Farben werden hie und da benutzt,
warum, wird am Ende dieser Ausführungen deutlich. Dazwischen: dreimal
die Verwendung der Farbe Grün, einmal als gebrochenes Chromgrün oder
Chromoxidgrün, dann aber als vergleichsweise reine Zinkfarbe, sodann als
Drittes in einer punktuellen Kombination beider Farbtöne.
Espritrot ist eine eher künstliche Farbe. Es ist
abstraktes, reines Rot, ohne Tendenz zu irgend einer anderen Nuance. Es
ist mit Echtrot zu vergleichen, sie kommt in der Natur nur selten vor.
Würde man es ermischen, nähme Zinnober einem glimmenden Krapplack
Transparenz und Tiefe. In der Deutschen Bahn kommt Espritrot vor, dort
sind die Züge entsprechend lackiert. Aber auch die Innenseiten der
Regionalbahnschienentriebwagen zeigen dieses Rot an den Türen, als
Signalrot, um den Ausgang zu bedeuten. Ein Funktionsrot also,
Feuerlöscherrot. Dieses Rot bildet zu einem Teil die Marke "Esprit".
Vgl. den Reichsausschuß-für-Lieferbedingungen-(RAL)-Farbton
"Verkehrsrot". Zum RAL-Farbensystem resp. "Verkehrsrot" siehe
Wikipedia,
sowie die Hompage des
"Deutschen Institutes für
Gütesischerung und Kennzeichnung e.V.".
Im Bild "Esprit 1" dient dieses reine Rot als
Hintergrund für den in reinem Weiß gehaltenen grotesken Schriftzug
"ESPRIT". Starke Unterschneidung beim "I" verstärkt das blockhafte
Aussehen des Schriftzuges. Die Majuskeln sind bei gleichbleibender
Strichstärke im Strich durchbrochen, wie man es normalerweise von
Schriftschablonen und ihren Haltestegen her kennt, die auf eine zu
beschriftende Oberfläche gelegt werden und durch die dann die
Schriftfarbe auf die zu beschriftende Oberfläche gesprüht wird. Die
Stege dienen dazu, die jeweiligen geschlossenen oder offenen Punzen der
Buchstaben sauber zu halten. Durch die Stege wirkt die Schrift jedoch
verfremdet. So fällt am "E" der senkrechte Strich ganz weg. Es ensteht
eine Leerstelle, ein visueller Bruch, der die Aufmerksamkeit von
Rezipienten auf sich zieht , was sicherlich auch beabsichtigt ist, da
Aufmerksamkeit erzeugt wird.
Gleichermaßen repräsentiert der Schriftzug in
seiner vorliegenden Form auch Aktionismus, da die Gestaltung nicht nur
aus der Welt der Arbeit (Lagerwirtschaft) herrührt, sondern
darüberhinaus auch der kreativen Energie der Umgestaltung ("E")
ausgesetzt wird. Zusammen mit der etwas technizierenden Signalwirkung
des Espritrot ergibt sich eine dynamische, am aktiven Gestalten
orientierte, eine ins Auge fallende, aber doch auch Dezenz (groteske
Majuskeln, Blockhaftigkeit der Unterschneidung, neutrales Rot)
suggerierende Marke. Eine Marke für junge, dynamische Macher, die nicht
unbedingt direkt auffallen möchten, sondern eher einen etwas
provisorischen Ansatz pflegen, ohne jedoch auf Gestaltungshöhe
verzichten zu wollen.
Diesen Ansatz variiert Kurt Emser in "Esprit 1". In
typografischer Hinsicht variiert er den Gedanken des Fragmentarischen,
der im durchbrochenen Schriftzug geäußert wird, indem Kurt Emser
collagengleiche Fragmente von Farbflächen unterschiedlicher Haptik über-
und nebeneinander setzt. So bietet die neapelgelbe, aber doch gebrochene
Farbfläche oberhalb des Schriftzuges im beleuchtenden Streiflich kleine
kalottenartige Grüppchen von Erhebungen, die kleine Schattensicheln
ausbilden.
Ähnlich verhält es sich bei den kleinen grünen
Farbfitzeln, die sich unterhalb des Schriftzuges in die Bildfläche
drängeln und dann von dieser wie von einem Pantoffeltierchen verschluckt
werden, um entweder verdaut oder, was wahrscheinlicher ist, als
Fremdkörper irgendwann wieder ausgestoßen zu werden ... - Andere,
weniger körnige Farbflächen lassen nicht nur das Auge, sondern auch die
Fingerspitzen über sich hinweggleiten. Diese Haptik ist im Zusammenhang
mit der Handhabung des Objektes als Ikone zu verstehen, die es in die
Hand zu nehmen gilt.
Es folgen weitere, beinahe glatte Flächen
unterschiedlicher Farb- und Formstruktur. Das fast schwarze Band am
rechten Bildrand erstrecht sich von unten nach oben, ohne jedoch den
Rand der Bildfläche rechts zu verlassen - vielmehr findet sich dort noch
eine Spur flankierenden Rotes. Aber die Längung des Bandes wird variiert
durch winzige wellige Grate, die von den Materialeigenschaften
herrühren, die die Länge queren und damit Intervalle bilden. Eine
Richtungsangabe also, entlang der längenmäßigen Erstreckung des
schwarzen Bandes. Man kann hier aber auch die Abfolge der kleinen, sich
überlagernden Farbflächen entlang des Schriftzuges von unten nach oben
und umgekehrt vergleichen. Und auch am linken Bildrand sieht man
Flächen, die aufeinander folgen.
Der Rhythmus in der horizontalen Bildmitte, von
unten nach oben, klärt sich jedoch nach oben hin, weil die Abfolge der
Intervalle mit einer Verdopplung der Intervallgrößen in der Abfolge
verbunden ist. So gibt es unterhalb des Schriftzuges neben den Fetzen
aus Grün auch noch Rosa und Zinnober, Grau, sowie ein Stück diagonal
eingeflickten Espritrotes. Die Schriftfläche selbst ist
wohlproportioniert in eine Zone aus zwei gleichrosafarbenen Farbflächen
eingebettet, wobei auf der rechten Seite Farbgrate vom Auftrag a
prima zu erkennen sind, auf der linken Seite des hochkant stehenden
Schriftzuges jedoch scheinbar alles glatt verläuft. "Scheinbar", denn
Nuancen von Orange bzw. Neapelgelb schimmern durch das Rosa hindurch und
wärmen und vermitteln zum Espritrot. Immerhin liegen im Gegensatz zum
Espritrot Brechungen im Rosa vor, das vielleicht eher aus Karmin mit
Weiß ermischt wurde.
-- Ein sehr schmutziges, hinter- und abgründiges,
verlottertes Rosa rahmt dieses Ensemble an der oberen und rechte Seite
und ätzt sich in die glattere, in die linke der beiden eben
beschriebenen Rosaflächen ein. Schließlich aber bringt die
orange-neapelgelbe, große und punkt- bzw. kalottenartig reliefierte
Trapezform oberhalb des Schriftzuges die Bewegung nach oben zum Abschluß,
gibt sie vielleicht wieder nach unten zurück.
Die oberste schwarze Flächenform konstituiert
hierzu aufgrund ihrer den unteren Formen vergleichbaren Ausdehnung und
wegen ihrer farblichen Reminiszenz auf die schwarze Langform rechts eine
Achse, auf der das Farb- und Formgeschehen im Lauf des
"Esprit"-Schriftzuges und diesem entgegen sich entwickeln kann.
Man kann diesen Rhythmus ruhig mit den
Kinderspielen auf dem Schulhof vergleichen, z.B. mit "Himmel und Hölle".
Man springt da der Reihe nach von der Erde in den Himmel, entlang
aneinandergereihter Felder, die entweder ganz oder aber unterteilt sind.
Man sieht hier, es gibt unterschiedliche Formgrößen und deren
Subordinationen. Entsprechend hat man mit einem Bein in einem geteilten,
oder aber mit beiden im jeweils großen Feld zu landen. Immer aber hüpft
man auch zurück. - Zu solchen Spielchen bedarf es nicht viel, nur des
menschlichen Geistes und eines Stückchen Kreide, weshalb das Spiel schon
im Kindergarten und in der Grundschule gespielt werden kann.
Die direktionalen Angaben, die schon in der Längung
der schwarzen Fläche rechts angelegt sind, werden also im Mittelbereich
des Bildes von unten nach oben und umgekehrt ausgearbeitet. Entlang und
entgegen dem Schriftzug "ESPRIT". Synästhetisch (Optik/Haptik) ist
dieses Spiel erfahrbar. Leiblich kann der Betrachter an diesem Spiel
teilnehmen, indem er sich in die Kindheit versetzt, auf das Spielen von
Kindern rekurriert, wodurch dem Begriff "Esprit" neue Konnotationen
verliehen werden.
Es wurde schon angedeutet, daß sich die Formen nach
oben klären, indem sie stärker und in größere Geometrien erzwungen
werden. Dafür aber verhalten sich die Bestandteile dieser größeren
Flächen unordentlicher, chaotischer. So hat die obere trapezförmige
gelborangene Fläche mit den kalottenartigen Erhebungen mehr internes
Bewegungspotential als der transparent wirkende, diagonal eingeflickte
Streifen Rot unterhalb der Schrift. Auch der diesem benachbarte Streifen
Rosa auf der rechten Seite, gleich im Anschluß an den grünen Keil, wirkt
innerlich beruhigt. Man kann unmittelbar die Menge der kleinen
Erhebungen innerhalb der Farbflächen vergleichen, die jene beleben: im
unteren Bilddrittel kontrastiert nicht nur die Farbe Grün mit dem
Umgebungsrot, sondern auch die Erhebungen der Farbgrate / Materialwerte.
Allerdings ohne größere Flächen zu dynamisieren. Im oberen Bilddrittel
ist dies anders: hier sind die drei großen Farbflächen allesamt belebt
und verfügen über Mengenkontraste und / oder gleich- und ungleichmäßige
Verteilungen der Erhebungen.
Man kann sich im oberen Trapez Kinder auf einem
Schulhof vorstellen. Diese Allusion rekurriert auf das schöpferische
Chaos, das durch strengere Ordnungen gebändigt wird. Unterhalb des
Schriftzuges werden die Ordnungen jedoch gequert, wohingegen sich jedoch
nur wenige flächeninterne, haptische Potentiale ausbilden. Das Hin und
Her, entlang des Schriftzuges "ESPRIT" besteht also in der Etablierung
einer äußeren Ordnung, die zur Ausbildung innerer Unruhe führt, nach
oben, bzw. einer Atomisierung und Partikularisierung der äußeren Ordnung
in für sich autonomen Formgebilden, die ausschließlich sich selbst
repräsentieren, weil der übergeordnete Zusammenhang negiert wird. Das
bedeutet formale Emanzipation. Und hier im unteren Bildbereich herrschen
die vehementesten Formstörungen. Den Transparenzen unten steht der
satte, gebrochene, opake Farbauftrag im oberen Trapez entgegen, der
substantiell statt lasurhaft aufzufassen ist.
Zum Schluß noch ein paar Beobachtungen, u.a. zur
Ponderation. Grün als Farbkontrast in einem rot dominierten Bild darf
nicht überwiegen oder gar gleichgewichtet sein, weil dann kein
Eindringungs- und Kontrastverhältnis unter Beibehaltung der Atomisierung
mehr gegeben wäre, weil alles sich dann die Waage hielte und
Andersartigkeit zum Stillstand gelänge.
Die schwarze Farbfläche am rechten Rand sollte eine
bildinterne Gewichtung erfahren, um ebenfalls das Bild nicht zu
dominieren. Die aufmerksame Betrachterin hat die kleinen Schwarzflecken
schon bemerkt, so am linken Rand des Grünfitzels unmittelbar unterhalb
des Schriftzuges, am linken unteren Bildrand, dann rechts an einem
kleinen Zinnoberrechteck, das über die gedachte Bahn des "Himmel und
Hölle"-Spieles hinauslugt, sodann aber am oberen Bildrand, zentral, als
die eigentliche Achse der sich entfaltenden Rhythmik.
Kurt Emser bezieht sich in der Struktur seines
Kunstwerkes "Esprit 1" auf die Bedeutung des Wortes "ESPRIT" als die
eines schöpferischen Geistes, der spielerisch das Chaos in eine strenge
Ordnung bringt, diese Ordnung jedoch wieder als Ausgangspunkt nimmt, um
Emanzipation zu erreichen. Zur Exemplifikation dieses Gedankens nutzt er
die vorgegebene Erscheinungsweise der Marke "Esprit". Es sollte erlaubt
sein, die Strukturentwicklung im Bild auf die Frage nach dem
markenbewußten Subjekt in der Gesellschaft zu stellen. Es sollte auch
erlaubt sein, in generellerer Hinsicht die menschlichen Lebensvollzüge
an jenen Gegensätzen aus innerem Chaos und äußerer Ordnung sowie äußerem
Chaos und innerer Ordnung zu beurteilen.
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